Rede zur Zurich Pride 2019: Wir sind Mensch

Mein Rede vor dem Demostrationsumzug der Zรผrich Pride 2019:

Zรผrich!
Helvetiaplatz!
Can you hear me?

Make some Noise!

Menschen, die nichts oder nur wenig hรถren kรถnnen, wรผrden bei so einem Aufruf ausgeschlossen sein. Deswegen haben wir hier einen Gebรคrdendolmetscher und ermรถglichen auch hรถrgeschรคdigten Menschen eine tolle Pride zu haben.

Danke, Renato.

Aber ihr merktโ€™s schon: Mit kleinen Dinge, die man sagt oder macht, fรคngts an: Man bringt viele Menschen zum Verzweifeln oder lรคsst sie sogar handfeste Benachteiligungen erfahren.

Ist nicht bรถse gemeint… Aber man wird das ja wohl noch sagen dรผrfen… Hรถren wir als Community viel zu oft.

Auch ich verzweifle manchmal: Wenn ich Menschen wieder mal erklรคren muss, dass ich nicht gerne eine Frau sein mรถchte und auch nicht zu einer wurde. Sondern, dass ich einfach eine Frau bin.

Das Wort Intersektionalitรคt beschreibt, welche Formen der Benachteiligung ein Mensch erfรคhrt.

Je mehr Hรคkchen wir fรผr uns selbst auf der Liste der Intersektionalitรคten machen, desto mehr Diskriminierung erfahren wir.

Fรผr mich selbst: Ich bin Frau. Ich bin Trans. Und ich bin lesbisch.

Und gleichzeitig bin ich weder geistig noch kรถrperlich behindert und ich habe die Privilegien, der weissen Menschen – Um nur zwei Beispiele zu nennen.

Silvia, meine Vorrednerin, hat gerade beschrieben, wie aus der unglaublichen Leistung der trans Frauen of Color beim Stonewall Uprising in den Medien, im gesellschaftlichen Gedรคchtnis und im Kino weisse, schwule, junge Mรคnner wurden – auch bei mir im Kopf.

Warum ist das so?

Weil es schรถner ist? Weil es angenehmer ist? Weil es mehr Geld bringt?

Trans Menschen und non-binรคre Menschen aller Hautfarben werden unterdrรผckt. Wir werden als krank bezeichnet. Und klein geredet. Im Jahr 2019. In der letzten Woche.

Vorgestern hat eine nicht-binรคre, weisse Person aus der Deutschschweiz zu mir gesagt, dass sie aus ihrem Kanton wegzieht und untertaucht, anstatt dort ein Coming-Out zu machen.

Dieser Mensch lebt weniger als eine Stunde von hier entfernt. Vor unserer Haustรผre. Im Jahr 2019. In der letzten Woche.

Vor 50 Jahren haben trans Menschen of Color fรผr unser aller Rechte gekรคmpft.

Stellt euch mal vor, wie schrecklich das gewesen sein muss, wenn im 2019 hier in der Schweiz noch immer trans und non-binรคre Personen ein komplett neues Leben anfangen mรผssen, nur weil sie ein Coming-Out planen?

Wenn wir uns vor Augen fรผhren, was wir alles in den letzten 50 Jahren der LGBTIQ+-Bewegung erreicht haben:

Wie unermesslich gross, waren der gesellschaftliche Druck und die Angst damals?

Und doch: Sie standen auf und kรคmpften!

Ich mรถchte, dass wir heute und in Zukunft Strong in Diversity sind. Wir sind stark, WEIL wir alle verschieden sind.

Ich mรถchte, dass wir einsehen, dass cis Menschen es einfacher haben als trans Menschen.

Dass heterosexuelle Menschen es einfacher haben als homosexuelle Menschen.

Mรคnner einfacher als Frauen.

Binรคre trans Menschen einfacher als non-binรคre Menschen.

Weisse Menschen einfacher als Schwarze Menschen.

Uneingeschrรคnkte Menschen einfacher als behinderte Menschen.

Aber Jeder Mensch ist einzigartig.

Wir alle sind eine einzigartige Kombination von vielen dieser und weiterer Eigenschaften. Und so kรถnnen wir uns alle problemlos selbst irgendwo auf der Liste der Intersektionalitรคten verorten und wir halten uns unsere eigenen Diskriminierungen andauernd vor Augen – aber wir vergessen oft unsere Privilegien, unsere Vorteile, die wir geniessen.

Ohne uns zu hinterfragen, nehmen wir unbewusste Vorurteile und Annahmen zur Hand, um zu entscheiden ob ein Mensch der uns gegenรผber steht unsere Aufmerksamkeit, unser Wohlwollen oder unsere Hilfe verdient hat.

Und wenn wir uns รผberredet haben, etwas fรผr diesen anderen Menschen zu tun, dann kommt die Stimme im Hinterkopf: Aber was ist, wenn ich ausgenutzt werde?

Stรคrke in Diversitรคt bedeutet Gleichberechtigung.

Aber Gleichberechtigung bedeutet nicht, dass wir alle auf der gleichen Startposition stehen.

Sondern, Gleichberechtigung bedeutet, dass wir alle gleichzeitig am Ziel ankommen kรถnnen.

Ich hoffe, dass ich euch dazu ermutigen kann, eure eigene innere Stimme zu hinterfragen.

Die Vorurteile, die diese Stimme unbewusst verbreitet, nicht einfach hinzunehmen oder sogar in Handlungen zu รผbersetzen.

Ich hoffe, dass wir uns der Diskriminierungserfahrungen, die wir alle verbreiten, stรคrker bewusstwerden.

Ich hoffe, dass wir alle zu unseren Fehlern im Umgang mit anderen Menschen stehen.

In der letzten Woche durfte ich ein Fernsehinterview geben. Live rief eine erboste Zuschauerin an und sagt, dass die Trans- und Gay-Community weder Fisch noch Vogel seien und wir uns nicht so anstellen sollen.

Ich mรถchte hier richtigstellen:

Ich bin nicht Fisch oder Vogel!

Ich. Bin. MENSCH!

Wir alle sind Mensch!

Non-Binรคre und trans Menschen fรผhren jetzt gleich die Demo an.

Wir alle hier treten in die Fussstapfen der grossen Leistung von den trans Frauen of Color im Jahr 1969 und vielen weiteren Menschen.

Wir alle stehen hier und heute zusammen und zeigen der Stadt wie sehr wir Mensch sind.

Wir sind MENSCH!

Wir sind MENSCH!

Wir sind MENSCH!

Wir sind MENSCH!

Danke, Zรผrich!
Ich wรผnsche euch eine tolle Pride.